Urban Legend: Camper und Narkose-Gas …

Es tauchen immer wieder Berichte und Meldungen im Internet aber auch in Zeitungen auf, in denen Wohnwagen- oder Wohnmobilfahrer nachts betäubt und anschließend ausgeraubt wurden.
Und auch von Mitcampern wird man gelegentlich drauf angesprochen, ob man denn auch einen entsprechenden Gaswarner hätte, um sich Nachts vor Betäubungsgas zu schützen.

Mein persönliches Highlight ist diese angsteinflößende Beschreibung bei Feuerfritze.de:
> „Nächtliche Überfälle mit Narkosegas kommen gerade in südlichen Urlaubsregionen häufiger vor, als Sie denken. Auf Park- oder auch auf Campingplätzen, wird durch einen Fensterspalt Narkosegas eingeleitet.
PS: Und ich hab mich immer gewundert, was all die mit Gasmaske und Gasflaschen rumlaufenden Leute Nachts machen – jetzt weiß ich es endlich 😉

Wohnmobil-Atlas.de

Liest man entsprechenden Zeitungsartikel komplett durch, stellt man fest, das in letztlich keinem der Fälle die Verwendung von Betäubungs- oder Narkosegas festgestellt oder wirklich nachgewiesen werden konnte! Weder durch die Polizei noch durch ärztliche Befunde.

Beispiel Wohmobil-Atlas.de:
Erst als Tatsache hingestellt: „Mit einem bestimmten Betäubungsgas wurden die Opfer im Schlaf außer Gefecht gesetzt…„) ,
weiter unten dann: „… dafür aber keine Anzeichen gefunden …

Vielmehr können sich die meisten Opfer vom Diebstahl es sich wohl nur mit einer nächtlichen Betäubung erklären, dass sie von dem Einbruch nichts bemerkt haben …
Oder lag der gute und feste Schlaf nicht doch einfach an etwas Alkohol und der angenehmen  Urlaubsumgebung ?


Aber auch sonst spricht vieles (oder: alles ?) gegen den Einsatz von Betäubungsgas, um einen Camper „einfach“ zu beklauen:

  • Die Anwendung:

    Jeder der schon mal eine ärztliche OP hatte weiß, wie genau eine Narkose dossiert werden muss und mit welchen Gefahren dies verbunden ist.
    Vorerkrankungen, Gewicht, Alter, Blutdruck, eingenommene Medikament, …all das fließt bei der Dossierung einer Narkose ein.
    Aber Einbrecher legen einfach einen Schlauch in das innere eines Campers, warten kurz, gehen rein (mit Gasmaske?), stehlen die Sachen und gehen wieder.
    Die dossierte Menge, um einen 120 kg Mann zu betäuben muss viel höher sein als um das mitreisende achtjährige Kind (oder gar Kleinkind) zu betäuben:
    Entweder wird der Vater nicht betäubt, oder das Kind wacht nie wieder auf …
    Auch sind alle medizinischen Gase aus Sicherheitsgründen nicht geruchsneutral.

  • Die Besorgung:

    Narkose-Gas gibt es nicht bei Ebay oder Amazon, auch nicht bei Hellweg (die führen nur Propangas 😉 )
    „Sicheres“ Narkose Gas ist sehr teuer (und auch legal nicht bzw. sehr schwer zu bekommen), die Diebe müssten dann eher schon den kompletten Wohnwagen stehlen als nur die Fotoausrüstung oder die Geldbörse, wenn der Einbruch/Raub sich lohnen sollte.
    Und würde man betäubende Gase (besser: Gifte) wie das einfach zu gewinnende Kohlenmonoxid oder Kohlendioxid einsetzen:
    Kontrolliert kann man damit niemanden betäuben, die Grenze wischen „betäuben“ und „umbringen“ liegen ganz eng beieinander und nicht vorhersehbar!

  • Die Praxis:

    Es laufen also nachts Kriminelle mit Gasflasche, Schlauch und Gasmaske auf Camping- bzw. Parkplätze umher.
    Hmmm, komisch, es wurde noch nie ein Einbrecher mit so einer Ausrüstung festgenommen, mit Brecheisen und Schraubendreher schon.
    Und wäre es für so ambitionierte Kriminelle nicht einfacher (und auch preiswerter), einen Camper zu beobachten und dann, wenn er am Strand, Restaurant oder beim Einkaufen ist, den unbewachten Wohnwagen auszurauben?
    Oder wenn die Urlauber im Wasser sind, einfach die Wertsachen am Strand (Foto, Geld, Ausweis) mitzunehmen?
    Warum sollte der Kleinkriminelle das Risiko eingehen, eine komplette Familie mit Narkose-Gas zu töten, weil er die sichere Dossierung des Gases gar nicht sicherstellen kann?

  • Die Folgen:

    Um eine oder mehrere Personen in einem Wohnwagen oder Wohnmobil zu betäuben, müßte eine recht große Menge an Narkosegas eingelassen werden.
    Die Menge würde man auch noch einige Tage nachher riechen oder zumindest nachweisen können.
    Auch würden die betroffenen Personen nicht nur angeben, das sie sich etwas matt oder unwohl gefühlt hätten. Die folgen einer solch unkontrollierten Narkose wären schlimmer …


Morgenpost – Brandenburg, 2013,

Fazit:

– Es gibt nach wie vor keinen einzigen polizeilich belegbaren Beweis, das Narkosegas bei einem Diebstahl eingesetzt wurde.
– Es gibt keinen einzigen Bestohlenen, bei dem nach einem Raubüberfall Narkosemittel im Körper nachgewiesen wurden.
– Was in Einzelfällen möglich ist, dass den Betroffenen im Vorfeld (Restaurant, Kneipe) KO-Tropfen verabreicht wurden, das ist aber etwas anderes (weil einfacher verabreichbar und dosierbarer) als das Zuführen von Narkosegas in einem Wohnwagen oder Wohnmobil !

Fritz-Berger, 2020

Umso erstaunlicher, das selbst große Händler wie Fritz-Berger die „Angst“ der Camper anspricht und einen Gaswarner mit entsprechenden Worten anpreist:

> Zuverlässige Warnung vor Gas-Angriffen

Quelle. Fritz-Berger

Aber auch Obelink, Reimo usw. haben solche Beschreibungen zu entsprechenden Artikeln auf deren Homepages …

Da muss man sich nicht wundern, dass die Geschichten über Einbrüche, in denen zuvor Narkosegas eingeleitet wurden, nie aufhören …

Auch muss man beachten, das die normalen Gaswarner, wie man sie i.d.R. zuhause hat, bei Narkosegas sowieso nicht anschlagen würden:
Diese reagieren auf Flüssiggas / LPG (also Propan und Butan) und auf Erdgas (Methangas), manche zusätzlich auf CO (Kohlenmonoxid), nicht aber auf eigentliches Narkosegas.


Links:

www.nordbayern.de/region/hoechstadt/diebes-trio-leitete-betaubungsgas-in-wohnwagen
www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Jahrelange-Haft-fuer-Wohnmobil-Einbrecher
www.wohnmobil-atlas.de/ueberfall.html (Erst als tatsache hingestellt … weiter unten relativiert …
www.feuerfritze.de/gasmelder/wohnmobil-und-wohnwagen
www.isaswomo.de/gas-ueberfaelle-auf-camper-was-ist-dran
www.zuhause-im-wohnmobil.de/gasueberfall-mit-narkosegas
www.reimo.com/de/D-camping_shop/DN-diebstahlschutz_sicherheit/DNE-gaswarner_wohnmobil
www.20min.ch/story/frauen-in-wohnmobil-betaeubt-und-ausgeraubt (Gute Narkoseleistung: Zwei Renter und vier kleine Hunde …)


Bilder-Gallerie – Zeitungsbeiträge:

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